Konzept

Fragen wir heute nach der alten Wissenskultur der buchgestützten Kenntnisse zurück, überschreiten wir die Horizonte unserer eigenen Welt. Die "Sachen selbst" scheinen ganz andere zu sein, wenn man im 16., 17. oder 18. Jahrhundert nach ihnen in Enzyklopädien Ausschau hält. Das, was man wusste, wie man es wusste und wie man es darstellte, unterscheidet sich stark von unserer heutigen Wissenskultur. Wir begegnen einer lebendigen antiken Bildungswelt mit einer Fülle von Figuren aus der griechischen Mythologie. Wir begegnen auch der Welt des alten Testaments und verschiedenen heidnischen Kulturen; wir finden eine intensive Auseinandersetzung mit der Natur (Pflanzen, Tiere, Steine), wobei Monster und andere Anomalien immer mitberücksichtigt werden. Auch symbolische Horizonte haben in der Frühen Neuzeit häufig reale Welten abgesteckt.

Die Bereiche des Wissens waren anders voneinander getrennt als heute. Viele Zeugnisse über fremde und ferne Kulturen und Ereignisse kamen aus zweiter oder dritter Hand und wurden doch als quellenmäßig abgesicherte Kenntnisse rezipiert. Wörter und Dinge standen in einem intimen Verhältnis zueinander.  Bücherwissen wird komplex repräsentiert, mit Einschluss auch alter Information. Was wir heute etwa eindeutig als naturwissenschaftliche Gegenstände ansehen, waren in der Frühen Neuzeit häufig mehrfach bedeutsame Dinge. So sind Pflanzen nicht vordringlich als Elemente des Naturreichs thematisiert, sondern als Heilmittel: die Register der entsprechenden Werke listen nicht selten Krankheiten auf, weil für sie ein linderndes Kraut existiert. In den Tierlexika überlebte lange Zeit das Einhorn, die Sirene oder der "Mönchsfisch", was heute belächelt wird. Man hat den Sinn für Wundertiere und monströse Erscheinungen unproblematisch mit dem Inbegriff des Natürlichen (griech. physis, lat. physica) verbinden können. Nicht zuletzt gibt es einen Sinn des Staunens, der sich oft auch durch Abbildungen vermittelt, die keineswegs nur Illustrationen waren.

Bücher waren mehr als stumme Wissenszeugen, sie konnten ganze Welten evozieren und für deren Gegenstände begeistern. Die enzyklopädischen Werke sind Landkarte und Wanderweg zugleich, sie orientieren und sie dokumentieren, sie geben Überblick und Fülle des Materials. Die Vielfalt der frühneuzeitlichen Enzyklopädien weist auch höchst unterschiedliche und nicht selten schwer erkennbare Ordnungskriterien auf. Tomaso Garzoni hat im 16. Jahrhundert für seine Enzyklopädie der Berufe kein gliederndes Prinzip jenseits der unterhaltsamen Abwechslung gewählt; bei Johann Heinrich Alsted gibt es in einer durchweg systematisch aufgezogenen Encyclopaedia am Schluss eine "Scheune" (lat. farrago), in welcher ausgelassene Disziplinen aufgeführt werden (wie Gedächtniskunst und Tabakanbau). Die früh schon zur Verwendung gelangende alphabetische Anordnung (so bei Mirabellius 1507) steht durchweg in Konkurrenz zu systematischen Konzeptionen, die den Leser stärker leiten und führen statt ihn suchen und wählen zu lassen. Autoren und Verleger, Zeichner und Stecher haben immer wieder neu versucht, die Aufmerksamkeit eines Publikums zu fesseln, das im Zeitraum vom 16. zum 18. Jahrhundert nicht nur Gelehrte, sondern auch Laien, nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Neugierige, nicht nur Entscheidungsträger, sondern auch alle Lernbegierigen umfasste.

So bilden die enzyklopädischen Werke der Frühen Neuzeit eine abwechslungsreiche Bibliothek des Wissens, deren gelegentlich wunderbare Gegenstände und nicht selten merkwürdig anmutende Gliederungen uns deutlich machen, dass wir heute vielleicht mehr wissen, ganz sicher aber auf ganz andere Weise wissen. Es sind neue Welten, die sich für uns in den alten Büchern öffnen.

Die Enzyklopädien der Frühen Neuzeit findet man nicht, wenn man nach dem Namen sucht, denn das Wort "Enzyklopädie" haben nur sehr wenige entsprechende Werke im Titel. Man findet sie aber sofort, wenn man auf ihre praktischen Funktionen achtet, von denen drei herausragen und in einer pragmatischen Definition dieser Buchgattung zusammengenommen werden können.

Enzyklopädien sind erstens solche Bücher, die ein Wissensgebiet ordnen oder darin eine Orientierung bieten.

Enzyklopädien sind zweitens solche Bücher, die selbst Wissen speichern.

Enzyklopädien sind drittens Bücher mit einem für den Zugriff des Lesers disponierten Wissen.

Diese Definition der Enzyklopädien als Buchgattung der Frühen Neuzeit lässt sich wie folgt zusammenfassen: Enzyklopädien sind im pragmatischen Sinn Wissensmaschinen mit einem Anspruch auf Orientierung, mit einer hohen Leistung der Informationsvermittlung und mit einer Ausrichtung auf möglichst unkomplizierte Benutzbarkeit.




   

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